Digitalisierung im Deutschen Gesundheitssystem

Juni 2021, Autor: Dr. Tobias Fischer

Ann-Sophie deSteur

Dass Deutschland in der Digitalisierung nicht zu den Spitzenreitern gehört, ist kein Geheimnis. Die meisten Neuerungen auf dem digitalen Markt stammen aus den USA, und die Deutschen passen sich den neuen Technologien meist langsam an. In diesem Artikel nehmen wir den Stand der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen genauer unter die Lupe.

 

Wie gut oder schlecht sich unser Gesundheitssystem in der Digitalisierung schlägt, lässt sich am besten anhand einiger Statistiken verdeutlichen. Innerhalb der deutschen Branchen ist das Gesundheitswesen einer der am wenigsten digitalisierten Bereiche und liegt nach Angaben des DIGITAL Wirtschaftsindex 2018 abgeschlagen auf dem letzten Platz hinter dem Fahrzeugbau. Auch im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn sieht das deutsche Gesundheitswesen alt aus. Laut dem Digital-Health-Index, der 17 EU-Staaten hinsichtlich des Stands der Digitalisierung in Arztpraxen und Krankenhäusern bewertete, schaffte es Deutschland knapp auf den vorletzten Platz vor Polen. Spitzenreiter war übrigens Estland.

Außerdem fällt Deutschland im internationalen Vergleich vor allem durch seine strikten Datenschutzregeln auf. Diese wurden zwar aufgestellt, um die Persönlichkeitsrechte zu stärken, haben aber auch Nachteile. Insbesondere stehen sie einer schnellen und unkomplizierten Kommunikation im Weg.

Ein Beispiel: Für die Entwicklung seiner Corona-App gab der Bund in den ersten 18 Monaten 67,5 Millionen Euro aus, während die irische Corona-App nur 850.000 Euro gekostet hat. Damit gaben die Iren nur etwa ein Achtzigstel der Deutschen aus. Gründe für diesen Unterschied sind z. B. hohe laufende Kosten und Marketing, aber schon die Entwicklung der App war aufgrund des hohen Arbeitsaufwand, der u. a. durch die hohen Datenschutzstandards verursacht wurde, entsprechend teuer.

 

Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen

 

Keine andere Branche ist für unser körperliches Wohlbefinden so wichtig wie das Gesundheitswesen, warum also lassen wir gerade hier so viel ungenutztes Potential liegen? Ein Grund könnte sein, dass die Meinung vorherrscht, dass medizinische Betreuung nur gut sein kann, wenn sie auf einer persönlichen Ebene von Angesicht zu Angesicht stattfindet. Dies ist aber eine Fehleinschätzung, denn digitalisierte Medizin steht guter Betreuung nicht im Wege, sondern senkt Kosten und schafft mehr Zeit für Patienten.

Ein Beispiel sind klassische Patientenakten, die verschiedene Formulare, Testergebnisse und Arztbriefe (die alle per Hand ausgefüllt werden) enthalten und in Karteisystemen sortiert werden müssen. Dies kostet nicht nur Zeit, sondern auch Ressourcen. Eine Umstellung auf eine komplett digitale Krankenakte bietet die Möglichkeit einer schnellen Bearbeitung der Akte und dem automatisierten Verknüpfen mit Untersuchungsergebnissen wie MRT. Diese digitale Akte kann also eine zentrale Sammelstelle der gesamten Krankengeschichte mit allen Untersuchungsergebnissen werden, was die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten enorm vereinfachen kann und die Behandlungsqualität erhöht. Neben der Krankenakte kann die Digitalisierung auch an anderen Stellen des Gesundheitswesens eingesetzt werden.

Ein besonders attraktives Beispiel ist der Einsatz von Big Data zur Auswertung einer großen Zahl von Krankenakten. Wenn sich Patientinnen und Patienten einverstanden erklären, könnten ihre anonymisierten Daten sehr einfach für epidemiologische Studien zur Verfügung gestellt werden, um neue Zusammenhänge zwischen Krankheiten und bisher unbekannten Faktoren herzustellen. Bei der Auswertung könnte auch eine weitere Neuerung der digitalen Revolution zum Einsatz kommen – künstliche Intelligenz. Insgesamt gibt es also eine Menge Potential für Kostenreduktion, Verbesserung der Behandlungsqualität und für neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

 

Krankenhausflur

Tony Yakovlenko

 

Was sich im Moment bewegt

 

Um die Digitalisierung der Krankenhäuser zu beschleunigen, verabschiedete der Bundestag Ende 2020 das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG). Hauptgegenstand des KHZG ist die Verteilung von Investitionen, die laut Gesetz vor allem in Digitalisierung und eine moderne technische Ausstattung fließen sollen. Hinzu kommt der Ausbau von Notfallkapazitäten, vor allem bezogen auf Corona-Erkrankungen. Der Bund stellt dazu etwa 3 Milliarden Euro zur Verfügung. Wie schnell dieses Gesetz die deutsche Krankenhauslandschaft verändert, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch ein Schritt in die richtige Richtung.

Dass sich im Deutschen Gesundheitssystem etwas tut, zeigt sich auch bei den digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGAs). Dies sind Apps, die von einem Arzt verschrieben werden können und nachweislich bei der Behandlung von verschiedenen Erkrankungen helfen. Allerdings gibt es aktuell noch wenige dieser DIGAs, nur gut ein Dutzend sind zurzeit verfügbar, aber deutlich mehr befinden sich in Entwicklung.

 

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