Seltene Erkrankungen – Neue Hoffnung für Patienten

Dezember 2022, Autor: Dr. Gerhard Pappert

Andrea Iris

Seltene Krankheiten verursachen bei den Betroffenen oft besonderes Leid. Per Definition tritt eine seltene Krankheit bei weniger als 5 von 10.000 Menschen auf. Einige dieser Krankheiten sind sogar noch seltener und treten weltweit nur bei wenigen Menschen auf. Darüber hinaus können sie praktisch jedes Organsystem betreffen und plötzlich auftreten.

Aufgrund der geringen Zahl der Erkrankten gibt es für seltene Krankheiten oft keine oder nur wenige Medikamente und wenig Forschung, mangelnde Erfahrung der Ärzte bei der Diagnose und Behandlung sowie geringe Möglichkeiten zum Informationsaustausch mit anderen Betroffenen.
Derzeit sind etwa 6000 seltene Krankheiten bekannt. Trotz der wenigen Betroffenen pro Krankheit ist die Gesamtzahl der Patienten also groß – etwa 300 Millionen Menschen weltweit leiden an einer seltenen Krankheit. [1]

Seltene Krankheiten – Beispiel Niere

Allein für die Niere gibt es eine ganze Reihe von seltenen Erkrankungen, die genetisch bedingt sind. Unsere Nieren sind nicht nur für die Produktion von Urin und die Regulierung seiner Zusammensetzung zuständig, sie spielen auch eine wichtige Rolle im Hormonhaushalt und bei der Regulierung des Blutdrucks. So sind die Nieren beispielsweise für die Produktion von Vitamin D und auch für die Bildung roter Blutkörperchen unerlässlich. Eine gestörte Nierenfunktion kann daher eine ganze Reihe von Gesundheitsproblemen auslösen.
Viele seltene Krankheiten sind genetisch bedingt. Beim Alport-Syndrom zum Beispiel (ca. 1 Betroffener von 7.500) führt ein Gendefekt zu einer langsamen Zerstörung der Nierenkörperchen und damit zu einer ständigen Verschlechterung der Nierenfunktion. Dieses Syndrom führt auch zu Funktionsstörungen der Ohren und Augen.
Die Zystinose ist ebenfalls genetisch bedingt und noch seltener als das Alport-Syndrom. Sie tritt nur bei einer von 200.000 Geburten auf und führt zu einer Anhäufung der Aminosäure Cystin in vielen Zellen. Während dies in vielen Organen kein Problem darstellt, verursacht es in der Niere schwere Schäden.
Nicht alle seltenen Krankheiten sind jedoch genetisch bedingt. Beim Goodpasture-Syndrom beispielsweise führt ein Autoimmunprozess zu Schäden an Nieren und Lunge. Autoimmunerkrankungen entstehen durch einen fehlgeleiteten Angriff des Immunsystems auf körpereigene Strukturen. Sie können durch genetische Faktoren begünstigt, aber nicht direkt ausgelöst werden. Das Goodpasture-Syndrom ist sogar noch seltener als das Alport-Syndrom und die Zystinose, mit etwa einer betroffenen Person pro 1 Million Einwohner.

Entwicklung von Therapien für seltene Krankheiten

Ist die Hürde einer genauen Diagnose für eine seltene Krankheit erst einmal genommen, kann die Therapie in der Regel nur symptomatisch sein. Das bedeutet, dass zwar die Symptome gelindert werden können, die Ursache einer Krankheit aber nicht bekämpft werden kann. Insbesondere bei genetisch bedingten Krankheiten war dies bisher nicht möglich.
Einige neuere Entdeckungen in der pharmazeutischen Forschung geben jedoch Anlass zur Hoffnung. Obwohl seltene Krankheiten in der Arzneimittelforschung traditionell vernachlässigt wurden, gibt es immer mehr spezialisierte Wirkstoffe. Das liegt daran, dass auch gezielt nach Wirkstoffen für die häufigeren seltenen Krankheiten gesucht wird, aber auch daran, dass bei der Suche nach Heilmitteln für andere Krankheiten manchmal Zufallsfunde gemacht werden.

Neue Therapien revolutionieren die Behandlung

Etwas anders sieht es bei völlig neuen Behandlungskonzepten aus. Eine erst in den letzten Jahren zugelassene Technologie sind zum Beispiel nukleinsäurebasierte Wirkstoffe, die bei genetischen Erkrankungen frühzeitig in die Krankheitsentwicklung eingreifen können und bei einigen Erbkrankheiten vielversprechende Ergebnisse erzielt haben. Allerdings müssen sie auch lebenslang eingenommen werden, um den Ausbruch der Krankheit zu unterdrücken.
Bei der Gentherapie, die seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird, ist das Konzept noch radikaler. Es beruht darauf, das Erbgut des Trägers, das durch einen Defekt die Krankheit auslöst, in eine „gesunde“ Version umzuschreiben. Dadurch wird die Ursache der Krankheit beseitigt und eine langfristige Heilung erreicht. Allerdings musste die Technologie zunächst lange Hürden und Sicherheitsbedenken überwinden. In den letzten Jahren hat die Zahl der Zulassungen jedoch zugenommen, und in diesem Sommer wurde das erste Gentherapeutikum zur Behandlung der (ebenfalls seltenen) Hämophilie A zugelassen.[2] Die weitere Entwicklung gentherapeutischer Arzneimittel in den kommenden Jahren könnte vielen Betroffenen einer Vielzahl von Krankheiten Hoffnung auf eine Heilung geben, die noch vor 10 Jahren undenkbar gewesen wäre.

Quellenangaben:
[1]
https://www.dw.com/de/seltene-erkrankungen-300-millionen-betroffene-weltweit/a-60894819
[2]
https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2022/220624-gentherapeutikum-haemophilie-a-roctavian-zulassungsempfehlung.html

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