Forschung & Entwicklung: Ist Europa konkurrenzfähig?

November 2021, Autor: Dr. Gerhard Pappert

Photo by Braňo on Unsplash

Europa und besonders Deutschland sind geschichtsträchtige Forschungsstandorte. Besonders Deutschland hat sich während der Corona-Pandemie mit dem Unternehmen BioNtech hervorgetan, das zusammen mit dem US-amerikanischen Konzern Pfizer den ersten in der EU und den USA zugelassenen Impfstoff auf den Markt brachte. BioNTech war dabei allerdings der Hauptverantwortliche bei der Entwicklung der Impfstofftechnologie und der Inhaber der Zulassung. Zusammen mit dem alternativen mRNA-Impfstoff der US-Firma Moderna ist BioNTech bis heute einer der beliebtesten Vakzine, da es hohen Schutz bietet und als vergleichsweise gut verträglich gilt. Auch AstraZeneca ist ein europäisches Unternehmen aus Großbritannien und Schweden, das ebenfalls zu den Ersten gehörte, die einen Impfstoff produzieren konnte.

 

Auch bei anderen Technologien sind die Europäer Vorreiter, obwohl man bei der heutigen Organisation von Forschung & Entwicklung fairerweise sagen muss, dass die meisten Technologien auf internationaler Zusammenarbeit beruhen. So kooperierte auch BioNTech seit 2013 mit der University of Pennsylvania, um die Grundlagen der mRNA Impfstoffe so weit zu entwickeln, dass eine Anwendung beim Menschen in greifbare Nähe rückte. Fast alle Grundlagenforschung wird von Universitäten und damit zu einem Großteil durch staatliche Mittel finanziert, da diese langwierig, teuer und vor allem risikobehaftet ist. Unternehmen machen daher gerne einen großen Bogen um dieses Feld.

 

Die neue Konkurrenz

 

Da die westlichen Staaten traditionell über die größten finanziellen Mittel und über eine lange Wissenschaftshistorie verfügten, kamen die meisten neuen Entwicklungen aus Europa oder den USA. Seit einigen Jahrzehnten gibt es aber Konkurrenz aus Asien. Vor allem die Volksrepublik China hat ihre Forschungsausgaben massiv erhöht. Während der Anteil des chinesischen BIP, das in Forschung und Entwicklung floss, 1996 noch bei 0,63% lag, waren es 2020 schon 2,4 %. Da sich das absolute BIP in dieser Zeit versiebenfachte, stiegen die Forschungsausgaben dort um sagenhafte 6500%. Zum Vergleich: Die Ausgaben in Deutschland stiegen im gleichen Zeitraum um das etwa 2,5-fache.

 

Auch Staaten wie Indonesien und Malaysia geben immer mehr Geld für Forschung & Entwicklung aus und haben den Ruf entwickelt, immer mehr westliche Forscher durch lukrative Angebote abzuwerben.

 

Ein weiterer Faktor, der für die asiatische Konkurrenz spricht, sind die ethischen Forschungsvorgaben. Vor allem in den vielversprechenden Bereichen Stammzellforschung und Gentherapie stehen asiatischen Forschern weniger Hürden im Weg als ihren europäischen Kollegen. Allerdings kommt es dort auch zu Auseinandersetzungen über Grenzen in der Wissenschaft. Erst 2019 war ein leitender chinesischer Wissenschaftler zu einer Geldstrafe von umgerechnet 380.000 € verurteilt worden, nachdem sein Team das Erbgut von zwei im Jahr 2018 geborenen Zwillinge gezielt verändert hatte. Allein die Durchführung einer solchen Prozedur ist in Europa oder den USA aktuell undenkbar.

Forschung und Entwicklung Medizin

Louis Reed


 

Ein weiteres Beispiel für europäische Hindernisse in der Forschung ist die In-vitro-Diagnostik. Als solche bezeichnet man die Untersuchung von Proben aus dem menschlichen Körper im Labor. Aktuell bekannteste Beispiel eines In-vitro-Diagnostikums sind die SARS-Cov-2 Selbsttests für Zuhause, mit deren Hilfe jeder leicht eine akute Corona-Infektion nachweisen kann. Der Markt für In-vitro-Diagnostik ist riesig und stark mit dem wissenschaftlichen Entwicklungstand eines Landes verwoben. Die Richtlinien der Europäischen Union zur Zertifizierung von In-vitro-Diagnostika befinden sich aktuell in einer Übergangsperiode, die 2022 abläuft. Die neuen Richtlinien sehen deutlich strengere Anforderungen für Zertifizierung von Tests und anderer Prozesse vor, was die Handlungsfähigkeit der Hersteller innerhalb der EU deutlich einschränken könnte. So führen Kritiker das Argument an, dass die schnelle europäische Antwort auf COVID-19 unter den neuen Richtlinien nicht möglich gewesen wäre. Dies hätte vor allem die Diagnose von Erkrankten in den ersten Monaten der Pandemie stark erschwert. Im schlimmsten Fall wird Europa bei der nächsten Pandemie nicht besser vorbereitet sein, sondern schlechter.

 

Worin sind die Europäer stark?

 

Im internationalen Vergleich fällt Europa vor allem durch seine hohe Dichte an Universitäten und anderen staatlichen Forschungsinstituten auf. Das System ist sehr durchlässig und erlaubt einen einfachen Transfer von Wissenschaftlern zwischen den Ländern; es gibt viele gemeinsame Forschungsvorhaben und Projekte. Durch den Brexit gab es bei der Kooperation allerdings jüngst einen Dämpfer bei der Zusammenarbeit. Im internationalen Vergleich sind bei den absoluten Ausgaben drei Länder unter den Top 10 (Deutschland Platz 4, Frankreich Platz 6 und Großbritannien auf Platz 8). Allerdings kommt Europa insgesamt weder an das Budget der Amerikaner noch an das der Chinesen heran.

Weitere Beiträge

Erschienen in