Telemedizin und KI: Ist der Computer der bessere Mediziner?

November 2021, Autor: Dr. Gerhard Pappert

Yann Bastard

Das deutsche Gesundheitswesen gehört nicht zu den modernsten Vertretern seiner Zunft. Im europäischen Vergleich sind die Abläufe in deutschen Krankenhäusern noch sehr traditionell organisiert. Zum Beispiel gibt es auch in großen Universitätskliniken hierzulande immer noch Stationen, die ihre Patientenverwaltung auf dem Papierweg abwickeln, was zu zusätzlicher Arbeit für Pflegekräfte und Ärzte und einer schlechteren Versorgung der Patienten führt.

 

Der vergleichsweise rückständige Zustand des Gesundheitssystems ist jedoch nicht unbemerkt geblieben. Um der Digitalisierung auf die Sprünge zu helfen, verabschiedete die alte Koalition aus CDU und SPD im Jahr 2020 das Krankenhauszukunftsgesetz. Durch dieses Gesetz werden 3 Milliarden Euro für Krankenhäuser bereitgestellt – vor allem mit Fokus auf die digitale Modernisierung.

Anhang der gewaltigen Umwälzungen, die sich in der Arbeitswelt allgemein und vor allem im Gesundheitswesen andeuten, stellt sich allerdings die Frage, ob diese 3 Milliarden Euro genug sein werden oder eher ein Tropfen auf den heißen Stein.

 

Wohin geht die Reise? Zukunftstechnologien in der Medizin

 

Wie in vielen anderen Zweigen der Industrie entstanden auch in der Medizin in den letzten Jahrzehnten immer mehr Technologien, die auf künstliche Intelligenzen zurückgreifen. In der medizinischen Anwendung von KI unterscheidet man zwischen zwei Kategorien: Der virtuellen KI und der physischen KI. Eine virtuelle KI kann zum Beispiel bei der automatischen Erfassung von Gesundheitsparametern wie Blutdruck oder Körpertemperatur zum Einsatz kommen, aber auch Ärzte bei der Diagnose von Krankheitsbildern unterstützen.

Physische KIs sind diejenigen, die etwa in Operationsrobotern zum Einsatz kommen könnten. Je nach Entwicklungsstand könnte eine solche KI den Behandlungserfolg bei bestimmten Operationen stark verbessern. Neben einer direkten Anwendung im Krankenhaus können KIs aber auch bei der Wirkstoffentwicklung eingesetzt werden.

Da KIs – je nach Komplexität – sehr leistungsstarke Rechner benötigen, gibt es auch hier Investitionspotenzial. Die größten Summen müssen allerdings in die Entwicklung und Verbesserung der KI selbst fließen.

 

Des Weiteren steht auch die Verbesserung der digitalen Infrastruktur für Telemedizin auf dem Plan. Telemedizin ist die Diagnostik und Therapie einer Erkrankung unter räumlicher und potenziell auch zeitlicher Trennung zwischen Arzt und Patient. Das kann in der Praxis heißen, dass es eine Option für Patienten wäre, ihren Termin beim Arzt per Videoanruf wahrzunehmen. Wer sitzt schon gerne im Wartezimmer? Im Extremfall kann die Kommunikation sogar über aufgezeichnete Videos erfolgen.


 

Tatsächlich steigt die Nachfrage nach Telemedizin-Angeboten ständig. Mehr und mehr Menschen nutzen das Internet als erste Station bei medizinischen Fragestellungen, und Online-Arztpraxen wie ZAVA erhalten steigende Zahlen von Anfragen. Nicht zuletzt hat auch Corona seinen Teil zum Aufstieg der Telemedizin beigetragen. In der Zukunft wäre es zum Beispiel denkbar, dass ein Großteil der Arztpraxen eine Telesprechstunde pro Woche für Beratungs- und Diagnosezwecke anbietet. Telemedizin kann aber auch bei der visuellen Verlaufskontrolle von Behandlungen, der Betreuung von Patienten in schwer zugänglichen Gebieten und bei digitalen Patientenschulungen eingesetzt werden.

 

Wer sich mit dem Gedanken von Telemedizin nicht anfreunden kann, muss sich jedoch keine Sorgen machen. Die Behandlung und Beratung unter vier Augen hat weiterhin ihren Platz, vor allem wenn man bedenkt, dass Studien immer wieder zeigen, dass ein möglichst direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient den Behandlungserfolg signifikant steigert.

 

Digitale Patientenakte: Mehr Transparenz für Patienten

 

Auch die Standards für die Übermittlung von Gesundheitsdaten können von der Digitalisierung profitieren. Stellen Sie sich vor, sie würden die Ergebnisse einer Blutuntersuchung direkt per Mail nach der Auswertung im Postfach finden, im besten Fall sogar mit Erklärungen und Kommentaren des Arztes zu den Befunden. Aber auch die Übermittelung der Daten zwischen zwei Gesundheitsdienstleistern würde durch eine einheitliche digitale Patientenakte effizienter gestaltet.

 

Balanceakt zwischen Empathie und Technologie

 

Bei allen Vorteilen der digitalen Medizin, gibt es immer wieder auch warnende Stimmen, die sich kritisch mit dem „Digitalisierungswahn“ auseinandersetzen. Die Medizin ist ein spezieller Berufszweig, der wie kein anderer den Spagat zwischen Naturwissenschaft, Technik und sozialen Elementen bewerkstelligen muss. Darum sollte die Zukunftsvision lauten: Digitale Technologie wird die moderne Medizin ergänzen, aber nicht ersetzen. Das heißt aber nicht, dass wir bei der Investition zögerlich sein sollten. Im Gegenteil: Wenn wir mehr Erfahrung mit der digitalisierten Medizin machen, lernen wir auch, diese vernünftiger in unser aktuelles System zu integrieren.

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