Umdenken in Sachen Tierwohl

Dezember 2021, Autor: Katja Reichgardt

Annie Spratt

Nicht zuletzt als Folge der Coronapandemie beschäftigen sich die Menschen eingehender mit ihrer Ernährung und den Auswirkungen von Tierhaltung auf die Umwelt. Für viele Konsumenten steht fest, dass der Umgang mit Tieren in Landwirtschaft, Nutztierhaltung und Forschung an die aktuellen Maßstäbe von Klima- und Tierschutz angepasst werden muss. Doch in vielen Bereichen erschwert die Bürokratie einen schnellen Wandel.

„Bewusster einkaufen, regionale Erzeuger unterstützen und dabei etwas für den Klimaschutz tun: Das ist für viele wichtiger geworden“, so fasste die scheidende Bundesernährungsministerin Julia Klöckner die Ergebnisse des diesjährigen Ernährungsreports zusammen. Tatsächlich landet bei vielen Deutschen vermehrt regionales Obst und Gemüse in den Einkaufskörben. Und auch vegetarische und vegane Ersatzprodukte sind gefragter denn je. Der Verzehr von Fleisch und Wurst nimmt hingegen immer weiter ab. Das Wichtigste bleibt aber nach wie vor der Geschmack: Gut schmecken muss es 99 Prozent der Befragten, dies ist seit Beginn der jährlichen Umfrage unverändert. Für 91 Prozent der Befragten muss ihr Essen aber auch gesund sein. Und auch Klimaschutz und Tierwohl spielen bei der Ernährung eine immer entscheidendere Rolle.

Einheitliches Tierwohlkennzeichen gefordert

Immerhin 87 Prozent der Befragten denken, dass ein verstärkter Konsum von Produkten, die regional erzeugt oder hergestellt wurden, eine geeignete Maßnahme darstellt, um die wachsende Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren. Vor allem bei den Befragten der Altersgruppe 14 bis 29 Jahren steht das Tierwohl dabei im Fokus. Insgesamt erwarten 73 Prozent der Befragten von der Landwirtschaft eine artgerechte Tierhaltung. Dafür, dass Fleisch und tierische Produkte aus der Region kommen, und für eine gute Tierhaltung sollen Siegel und Kennzeichnungen bürgen. Viele Supermärkte und Discounter setzen bereits auf ihre eigenen Siegel, meist mehrstufige farbige Modelle. Hinzu kommen Siegel des Tierschutzbundes, von „Vier Pfoten“ oder das EU-Bio-Logo, das die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau garantiert.
Ein einheitliches Tierwohlkennzeichen gibt es trotz jahrelanger Forderungen weiterhin nicht: Dabei ist es auch 86 Prozent der im Rahmen des Ernährungsreports Befragten wichtig oder sehr wichtig, dass ein solches staatliches Tierwohlkennzeichen kommt. Dessen Einführung war zuletzt im Juni dieses Jahres im Bundestag gescheitert. Ziel einer solchen Kennzeichnung wäre es einerseits, Verbraucher schnell und einfach darüber zu informieren, in welchen Produkten mehr Tierwohl drinsteckt, und andererseits Tierhalter für ihre Mehrinvestitionen in eine artgerechte Haltung zu entlohnen. Eine für sämtliche EU-Staaten verpflichtende Haltungskennzeichnung fordert unter anderem auch Greenpeace. Das wäre laut Greenpeace-Agrarexpertin Stephanie Töwe der einzige Weg, um für mehr Transparenz im Siegel-Dschungel zu sorgen.

Vegane Ernährung immer beliebter

Eine andere Haltung zum Thema Tierwohl nehmen Veganer ein. Eine tatsächlich artgerechte Tierhaltung, so ihre Sichtweise, sei nur die Freiheit der Tiere. Auch wenn ihr Anteil an der Bevölkerung mit etwa zwei Prozent gering bleibt: Es gibt immer mehr Menschen – in Deutschland immerhin rund 1,3 Millionen – die sich für eine vegane Ernährung entschieden haben. Die Pandemie gilt als Beschleuniger der Bewegung, haben sich die Menschen in den vergangenen anderthalb Jahren doch mehr denn je mit Lebensmitteln und Ernährung auseinandergesetzt.
Alternativen zu tierischen Produkten nehmen acht Prozent der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Befragten nach eigenen Angaben bereits mindestens einmal täglich zu sich. Ein Großteil der Veganer verzichtet aus Gründen des Tierwohls auf tierische Produkte, für viele spielt aber auch der Klimaschutz eine wichtige Rolle. Würde die gesamte Weltbevölkerung auf eine vegane Ernährung setzen, ließen sich die nahrungsspezifischen Emissionen um knapp 70 Prozent reduzieren. Zudem könnten bis zu vier Milliarden mehr Menschen satt werden, da weniger Ackerfläche für den Anbau von Futtermittel für die Fleischindustrie verbraucht würde – es stünden 33 Millionen Quadratkilometer Land für den Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung. Doch noch ist eine weltweite vegane Ernährung nur eine Utopie. Dass Verbraucher zumindest in Europa bewusster Fleisch und Tierprodukte konsumieren, ist hingegen bereits Realität.

Strengere Regeln für Tierversuche

Um einen bewussteren Umgang mit Tieren geht es auch denjenigen, die sich gegen Tierversuche einsetzen. Vögel, Affen oder Hunde für wissenschaftliche Zwecke zu „nutzen“, ist auch in vielen deutschen Forschungseinrichtungen weiterhin an der Tagesordnung. Allein 2019 starben fast drei Millionen Tiere in Laboren. Damit belegt Deutschland EU-weit den unrühmlichen zweiten Platz. Erst vor wenigen Monaten hat der Bundestag Änderungen des Tierschutzgesetzes beschlossen. Zukünftig sollen Behörden prüfen, ob ein beantragter Tierversuch „aus wissenschaftlicher oder pädagogischer Sicht gerechtfertigt ist“, wie es in der Novellierung heißt. Doch auch diese neue Regelung geht Tierschützern nicht weit genug.

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