Volkskrankheiten und Seltene Erkrankungen

Juni 2021, Autor: Dr. Tobias Fischer

Ann-Sophie deSteur

Volkskrankheiten – Jeder kennt sie, viele sind selbst davon betroffen oder haben Betroffene im engeren Umfeld. Es handelt sich dabei um Krankheiten, die „von dauernder starker Verbreitung und Auswirkung in der gesamten Bevölkerung“ sind.

 

Der Begriff „Volkskrankheiten“ ist keine präzise medizinische Terminologie, findet aber oft Verwendung in den Medien und in der Allgemeinbevölkerung. Bei einigen Krankheiten ist es daher auch strittig, ob sie als Volkskrankheit zu betrachten sind. Eindeutig zu den Volkskrankheiten gehören unter anderem:

→ Bluthochdruck

→ Übergewicht

→ Krebs

→ Infektionserkrankungen

→ Typ-2-Diabetes

→ Herz-Kreislauf-Erkrankungen

→ Rückenschmerzen

→ Arthrose

Durch ihre hohe Prävalenz (Anteil betroffener Menschen) verursachen diese Krankheiten enorme Einbußen der Lebensqualität in der Bevölkerung und hohe Kosten für das Gesundheitssystem und die Krankenkassen. So leiden etwa 32% aller Deutschen an Bluthochdruck. Das Tückische am Bluthochdruck ist – er kann unbehandelt lange Zeit keine Beschwerden verursachen, aber in höherem Alter häufig zu Gefäßverschlüssen und Rupturen führen und sich in Schlaganfällen und Herzinfarkten äußern. Ähnlich kann sich auch Übergewicht auswirken. Gut zwei Drittel aller Männer (67%) und die Hälfte aller Frauen (53%) sind in Deutschland übergewichtig. Die geschätzten Kosten, die allein 2015 durch Übergewicht für das Gesundheitssystem anfielen, belaufen sich laut Statista auf über 62 Milliarden Euro. Dazu gehören sowohl direkte Kosten durch Krankengeld und Pflege als auch indirekte Kosten durch Arbeitsausfälle.

 

Seltene Erkrankungen

Den Volkskrankheiten gegenüber stehen seltene Erkrankungen mit weniger als 5 Betroffenen unter 10.000 Einwohnern. Zu den bekannteren Vertretern gehören etwa das Asperger-Syndrom, das Hodgkin-Lymphom oder die amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Es gibt Tausende weitere dieser seltenen Krankheiten, sodass insgesamt wieder viele Menschen betroffen sind. Das Bundesgesundheitsministerium geht in Deutschland von 4 Millionen Menschen mit seltenen Erkrankungen aus. Seltene Krankheiten sind durch ihr geringes Vorkommen deutlich schlechter erforscht und verstanden als Volkskrankheiten. Pharmakonzerne entwickeln wegen der geringen Absatzmöglichkeiten auch eher neue Medikamente für bereits gut behandelbare häufige Krankheiten, statt sich auf die Entwicklung neuer Wirkstoffe für seltene Erkrankungen zu konzentrieren. Allgemein gilt: Je seltener die Krankheit, desto weniger Behandlungsoptionen stehen zur Verfügung. Im Bereich der universitären (Non-Profit-)Forschung gibt es immer wieder Arbeitsgruppen, die sich mit der Behandlung von seltenen Erkrankungen beschäftigen. Die Entwicklung neuer Therapien ist im Vergleich jedoch deutlich langsamer.

 

Volkskrankheit COVID19

Fusion Medical Animation

 

Covid-19 als Volkskrankheit

Auch Infektionskrankheiten werden unter den Volkskrankheiten gelistet. Wenige Krankheiten haben einen derartigen Einfluss auf unsere Lebensqualität wie Covid-19. Der Gesamtschaden ist kaum zu beziffern. Bis jetzt hat der Bund über 1,32 Billionen (!) Euro Schulden durch Corona aufnehmen müssen. Auch die Krankenkassen müssen deutlich drauflegen und verzeichneten 2020 nach den Überschüssen der vorherigen Jahre erstmals wieder ein Minus. Fast 3,6 Millionen Menschen haben sich hierzulande seit dem Beginn der Pandemie nachweislich mit der Krankheit infiziert, über 85.000 sind an oder mit Covid-19 gestorben, davon waren 10.000 jünger als 70 Jahre.

Weiterhin kämpfen viele Erkrankte mit dem sogenannten Long-Covid-Syndrom. Je schwerer der Verlauf, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dieses Syndrom zu entwickeln. Gut 50% der Patienten, die wegen Covid-19 ins Krankenhaus kamen, leiden auch 8 oder mehr Wochen nach ihrer Entlassung noch unter Symptomen wie Müdigkeit und Organveränderungen, vor allem in der Lunge.

Hinzu kommen die Auswirkungen des Lockdowns. Dieser hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesundheitliche Folgen. Besonders Heranwachsende sind durch die Pandemie psychisch belastet. So stieg das Risiko für Hyperaktivität und Verhaltensprobleme von 18% auf 31% während der Pandemie. Auch Erwachsene leiden psychisch unter den Kontakteinschränkungen und dem Wegfallen gewohnter Freizeitaktivitäten. Der Lockdown wirkt sich ebenso negativ auf andere Teile des Gesundheitssystems aus. Durch die Infektionsschutzmaßnahmen und die Überbelastung von Ärzten, Pflegepersonal und Gesundheitsinfrastruktur haben sich viele geplante Operationen und Behandlungen verschoben, was sich in weiteren negativen Folgen für den Gesundheitszustand der Bevölkerung äußert.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände wäre es durchaus gerechtfertigt, Covid-19 als eigene Volkskrankheit anzusehen. Es bleibt zu hoffen, dass sich deren Bedeutung durch die Impfungen bald deutlich verringert.

 

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