Wie Bakterien unser Leben retten

Juni 2022, Autor: Dr. Tobias Schneider

Yann Bastard

Grüne Technologie ist in aller Munde. Produkte, die auf Erdöl und Erdgas basieren, werden dagegen mit zunehmendem Misstrauen beäugt. In vielen Branchen ändern die Unternehmen daher ihre Produktpalette, um der veränderten Nachfrage gerecht zu werden, oft begleitet von Preiserhöhungen. Einige Branchen entwickeln sich auch „freiwillig“ zu einer grüneren Version ihrer selbst – nicht, weil es einen externen Druck für grüne Produkte gibt, sondern weil es sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Ein Beispiel dafür ist die Pharmaindustrie. Bei immer mehr Neuzulassungen handelt es sich um so genannte Biologika, d. h. Medikamente, die biotechnologisch hergestellt werden und deutlich weniger erdölbasierte Ausgangsstoffe und Lösungsmittel benötigen.

Warum wir Biotechnologie immer häufiger einsetzen

Es gibt viele Gründe, warum sich Biopharmazeutika – biotechnologisch hergestellte Medikamente – erst seit der Jahrtausendwende wirklich durchgesetzt haben. Der wohl wichtigste Grund ist, dass es schwierig ist, mit rein chemischen Methoden Moleküle herzustellen, die an die Komplexität etwa eines kleinen Proteins heranreichen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Insulin, das Diabetes-Patienten dringend benötigen, um ein normales Leben führen zu können. Es ist ein vergleichsweise einfaches Hormon, das bereits in den 1960er Jahren chemisch „nachgebaut“ werden konnte. Allerdings wäre seine Herstellung so kostspielig, dass es als Medikament kaum erschwinglich wäre. Da Insulin von einer großen Zahl von Menschen benötigt wird (Tendenz weiter stark steigend), wurde es 1982 auch als erstes Biopharmazeutikum in den USA zugelassen. Seitdem sind die Kosten für die biotechnologische Herstellung immer weiter gesunken, so dass es wirtschaftlich ist, Biopharmazeutika herzustellen, die nur in kleineren Mengen benötigt werden.

Seibersdorf Laboratories

Ein weiterer Grund für den verstärkten Einsatz der Biotechnologie ist, dass die auf diese Weise hergestellten Arzneimittel neuartige Therapien ermöglichen. Im Gegensatz zu den klassischen kleinen Molekülen, die wir in der organischen Chemie herstellen, haben Biopharmazeutika den Vorteil, dass sie gezielt einen bestimmten Prozess im Körper auslösen. Viele chemisch hergestellte Medikamente haben unterschiedliche Wirkungen, die sich nicht trennen lassen. Aspirin zum Beispiel senkt Fieber, lindert Schmerzen, hemmt die Blutgerinnung und schädigt die Magenschleimhaut. Was aber, wenn nur eine dieser Wirkungen erwünscht ist oder andere vermieden werden sollen? Andere Medikamente lösen dieses Problem teilweise, aber nicht so gut wie ein zielgerichtetes biopharmazeutisches Produkt, wie z. B. ein Antikörper.

Biologie setzt auf Digitalisierung

Obwohl es grundsätzlich möglich ist, Biopharmazeutika mit analogen Mitteln zu entwickeln, profitiert dieser Bereich enorm von einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur. Bei der Analyse von Organismen fallen riesige Datenmengen an, deren korrekte Auswertung viel Fachwissen erfordert. Big Data ermöglicht einen schnellen Abgleich der Ergebnisse mit öffentlichen oder internen Datenbanken. Außerdem besteht in der Wissenschaft seit langem ein großes Interesse daran, wie künstliche Intelligenz und andere komplexe Algorithmen zur Verbesserung der Entwicklung und Herstellung von Biopharmazeutika eingesetzt werden können. Die Fortschritte in der Computertechnologie haben daher auch die biotechnologische Herstellung von Arzneimitteln vorangetrieben.

Wer produziert die Medikamente der Zukunft?

Biotechnologische Verfahren beruhen in der Regel auf Bakterien, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie das gewünschte Produkt herstellen. Dazu müssen sie nur mit einem Nährmedium versorgt werden, den Rest erledigt die Zelle von selbst. Es gibt aber auch andere Zelltypen, die sich aus technischen Gründen besser für die Produktion bestimmter Zielverbindungen eignen. So werden zum Beispiel immer häufiger gentechnisch veränderte Pflanzenzellen eingesetzt. Wenn man dies auf die Spitze treibt, könnten Medikamente in absehbarer Zeit buchstäblich auf Bäumen wachsen.

Mehr Produkte aus der Petrischale möglich

Der Biotechnologiesektor hat seinen Marktanteil in der jüngsten Vergangenheit stark erhöht. Anfang 2022 werden bereits zwölf Prozent aller Wirkstoffe von Mikroorganismen hergestellt. [1] Das wirtschaftliche Potenzial ist enorm, und für die Patienten verspricht die steigende Zahl der Biopharmazeutika wirksamere Behandlungen. Auch Lebensmittel wie Fleisch oder Käse könnten mittelfristig überwiegend biotechnologisch hergestellt werden.
In vielen Bereichen sind wir aber noch weit davon entfernt, das volle Potenzial der Biotechnologie auszuschöpfen. Es wäre durchaus denkbar, deutlich mehr Güter des täglichen Lebens auf biotechnologischer Basis zu produzieren. Dies erfordert jedoch große Investitionen in Forschung und Entwicklung und wird noch einige Jahre dauern. Das Versprechen dieser Technologie lässt uns aber hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

[1] https://www.transgen.de/aktuell/2579.arzneimittel-wirkstoff-gentechnik.html

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